Zielen: Das Streben nach dem perfekten Zielbild

Von US Coach Bernie Pellerite. Aus dem US Archer übersetzt von Heiko Herling.

Nach vielen Jahren als Trainer und nach dem Studium von fast 1100 Zielvorgängen meiner Schüler, die mit einem am Bogen montierten Laser aufgezeichnet wurden, bin ich zu der unausweichlichen Überzeugung gelangt, dass es nur eine Lösung gibt das von allen erwünschte Ziel des perfekt ruhigen Zielbildes zu erreichen. Man kauft sich ein Gewehr mit Zielfernrohr und montiert dieses auf einen Ständer.
Diese Suche, dieses Streben nach dem perfekt ruhigen, mit einem Gewehr vergleichbaren Zielbild ist jedoch Ursache für viele Probleme im Bogensport, z.B. dem „Goldfieber“. Es gibt aber Möglichkeiten unser Zielbild deutlich ruhiger zu gestalten, den Radius unserer Bewegungen zu verkleinern. Lassen Sie mich einige beitragende Faktoren, Verbesserungsvorschläge und das Geheimnis des nie zu erreichenden, perfekt ruhigen Zielbildes, erklären.
Viele von uns haben vor dem Bogensport mit Gewehr oder Pistole geschossen und erwarten nun ein ebenso ruhiges Zielbild beim Bogenschießen. Aufgrund einiger grundlegender Fehler, die bei den meisten Schützen zu finden sind, ist dies jedoch unmöglich.

Fehler Nr. 1
Viele Schützen schießen mit einem Bogen dessen Auszugslänge 1-3 Zoll zu lang ist. Entweder weil sie das letzte der ach so wichtigen Pfeilgeschwindigkeit aus ihrem Bogen herausholen wollen oder weil derjenige der ihnen ihren Superbogen verkauft hat schlicht keine Ahnung hatte. Durch den zu langen Auszug ist der Bogenarm überstreckt und der Deltoid Schultermuskel angespannt. Merke: Immer wenn ein Schütze einen Muskel beansprucht erzeugt dies Spannung. Muskelanspannung wiederum erzeugt Bewegung und schließlich Zittern, was natürlich unser Zielbild unruhig werden lässt. Diese Unruhe im Zielbild versuchen wir durch den Einsatz von noch mehr Muskeln wieder zu beruhige, was logischerweise unser Problem nur verstärkt.
Die Lösung ist den Bogenarm bei tiefer, zurückversetzter und arretierter Schulter völlig zu entspannen. In dieser Position ist der Schultermuskel nicht angespannt und der Ellbogen fast gestreckt und ebenfalls entspannt.
Eine Möglichkeit um die korrekte Auszugslänge festzustellen ist es sich mit in Schulterhöhe ausgestreckten Armen mit dem Rücken an eine Wand zu lehnen. Nun machen wir 2 Marken dort wo unsere Mittelfingerspitzen bei ganz ausgestreckten Armen die Wand berühren. Die von mir entwickelte Formel zur Berechnung der Auszugslänge basiert auf folgender Gleichung:
71 Inch Markenabstand = 28 Inch AMO Auszug
Für jedes Inch mehr oder weniger an Markenabstand wird ein halbes Inch an Auszugslänge addiert oder subtrahiert, 72 Inch ergeben also 28,5 Inch Auszugslänge, 70 Inch ergeben 27,5 Inch usw. (Zur Erinnerung : 1 Inch = 2,54 cm und der AMO Auszug ist das Mass vom Nockboden bis zum tiefsten Punkt der Griffschale + 1,75 Inch)

Fehler Nr. 2
Der durchschnittliche Schütze hat bei vollem Auszug ein um 5 – 15 lbs zu hohes Zuggewicht. Die neuen High Let Off Bögen scheinen hier eine Verbesserung zu bewirken. Aufgrund der meist hohen Gipfelzuggewichte und der harten Cams haben die meisten Schützen nach der Anstrengung des Bogenausziehens viele Muskeln angespannt und können diese dann während der Zielphase nicht mehr entspannen, was zu einem zittrigen und wackeligen Zielbild führt.

Fehler Nr. 3
Die meisten kontrollierenden und analysierenden Persönlichkeiten (dies sind ca. 90% der Schützen) wählen das falsche Absehen für ihr Scope. Wie komme ich zu dieser Aussage? Nachdem ich mich als Trainer mit dem Zielen von ca. 5000 Bogenschützen auseinandergesetzt habe, weiß ich das die meisten Schützen verkrampft und paranoid reagieren wenn es ans zielen geht. Mit anderen Worten: Die meisten überreagieren völlig und versuchen viel zu verbissen den Pin genau auf dem X zu halten, obwohl sie gar nicht in der Lage sind sich länger als eine halbe Sekunde auf nur Eines zu konzentrieren. Dazu kommt das sich viele Schützen ein 4, 6 oder 8-fach Scope kaufen um noch besser zu das sehen das sie den Pin nicht in der Mitte halten können. Erkennen sie die Spiele die wir hier mit uns spielen? Wir kaufen ein stark vergrößerndes Scope um unser zitterndes Zielbild optisch noch zu verstärken, um uns noch mehr verrückt zu machen weil wir es einfach nicht schaffen diesen Bogen ruhig zu halten. Macht Sinn, oder? Ich war übrigens kein bisschen schlauer. Ich brachte einmal ein 14 fach Scope auf den Markt. Mein Zielbild sah ungefähr so ruhig aus wie unter einem Presslufthammer, was mich natürlich sehr beruhigte!
Wenn sie keine großen Vergrößerungen schießen sind die Chancen gut das sie den kleinsten erhältlichen Zielpunkt oder den feinsten Pin verwenden … um sich auf diese Weise verrückt zu machen diesen winzigen Punkt genau auf dem X zu halten. Sie sehen: desto stärker das Scope vergrößert oder desto kleiner der Pin ist, desto besser erkennen Sie Ihre eigenen Bewegungen. Lernen wir den nie?
Heute lehre ich, dass es zuerst einmal wichtig ist, zu erkennen, welche Persönlichkeitstypen zu welchen Fehlern neigen. Einem Grossteil der Schützen empfehle ich dann ein Scope mit schwacher Vergrösserung und einem Kreis darin. Sollte ihnen ein Kreis im Scope unsympatisch sein wählen sie den dicksten Zielpunkt den Sie kriegen können. Achtung: Wenn sie einen Kreis im Scope verwenden sollte dieser nicht zu klein sein. Es sollte genügend Luft zwischen dem Gold und dem Zielkreis vorhanden sein um dem Kreis die Möglichkeit zu geben sich um das Gold herum zu bewegen und dabei immer noch das X genau zu sehen. Wenn dies nicht beachtet wird und der Kreis zu klein ist fängt das überreagieren wieder von vorne an. Wenn Sie noch einen Schritt weiter gehen wollen, versuchen Sie mal ein etwas unscharfes Glas … auch dies führt zu weniger sichtbarer Bewegung und macht manche Persönlichkeiten ruhiger. Diejenigen die lieber einen Pin schiessen sollten einen möglichst dicken Pin versuchen. Auch dadurch werden Bewegungen weniger sichtbar und bewahren so eventuell vor dem mentalen Durchbrennen.

Fehler Nr. 4
Ein zittriges, wackelndes Zielbild ausgelöst durch Fehler 1, 2 und 3 verursacht den Kopf Fehler Nr. 4 . Dieser Fehler ist die Annahme das es unbedingt notwendig ist, den Pin im Moment des Schusses genau über dem X zu haben. Da unser Zielbild aber nun einmal zittrig und wackelig ist und sich diese Unruhe auch noch schnell verstärkt sind wir der Meinung das wir nur noch 1 oder 2 Sekunden länger haben bis wir die Kontrolle über unser Zielen komplett verlieren. Deshalb versuchen wir einen Schuss im Vorbeifahren, d.h. in dem Moment in dem unser Pin mal wieder zufällig am X vorbei fährt senden wir ein bewusstes Signal an unser Gehirn das es jetzt Zeit ist auf den Trigger zu drücken, und zwar genau in dieser Millisekunde. Dieser bedauerliche Versuch bewusst zu zielen während wir gleichzeitig versuchen bewusst den Schuss auszulösen (zwei Gedanken gleichzeitig) ist genau die Definition des „Goldfiebers“. Dies entwickelt sich individuell verschieden in 4 unterschiedlichen Symptomen:

  • dem Zucken während der Schussabgabe
  • Feststehen außerhalb des X
  • Schnellschießen
  • Punchen

Manche Schützen entwickeln auch 2 oder 3 Symptome und es gibt auch noch Variationen der oben genannten Möglichkeiten. Das „Feststehen“ kann z.B. noch unterteilt werden in feststehen ausserhalb des X, oder feststehen auf dem X, wobei diese Schützen dann nicht in der Lage sind den Schuss zu lösen.
Alle diese Möglichkeiten haben eines gemeinsam: Unserem Unterbewusstsein wird die Möglichkeit genommen zu übernehmen und für einen unbewussten Schuss zu sorgen, so wie es manchmal im Training passiert. Wenn wir wirklich einfach voll konzentriert bewusst zielen löst sich der Schuss manchmal sozusagen von allein, ohne bewusste Gedanken. Dies passiert weil wir bewusst völlig ins zielen vertieft sind, was die Basis für gleichbleibende Präzision ist. Unglücklicherweise passiert dieses unbewusste Lösen des Schusses nur sehr selten und meistens dann wenn der Schuss nicht „zählt“. Wenn wir versuchen es „besonders gut“ zu machen, z.B. beim ersten oder letzten Pfeil oder um einen persönlichen Rekord aufzustellen oder um 6 mal hintereinander das X zu treffen oder in einem wichtigen Finalschiessen …. immer dann kommt es zu einem mentalen Kurzschluss. Wenn wir unbedingt treffen wollen trauen wir plötzlich unserem unbewussten Lösen nicht mehr. Wir denken der Schuss könnte sich lösen wenn wir nicht exakt in der Mitte sind und deshalb versuchen wir bewusst zu lösen und zu zielen. Und da ist sie wieder, unsere zerstörerische Sucht nach dem perfekten Zielbild. Dies ist der Moment wenn alle guten Vorsätze vergessen werden und wir mit der „Goldfieber“ Programmierung beginnen, solange bis wir voll infizierte „Goldfieberpatienten“ sind auf der Suche nach einer Lösung.

Lösungsansätze
Durch kürzen der Auszugslänge und Entspannung der Schulter wird unser Zielbild 100- bis 200% ruhiger, sodass es langsam um das X herumwandert. Die wahre Kunst ist es dieses Bild (den Bogenarm) nicht kontrollieren zu wollen sondern sich darauf zu verlassen das unser Unterbewusstsein dies für uns übernimmt solange wir unsern Blick und unsere volle Konzentration auf das X brennen. Unser Unterbewusstsein mag keine asymmetrischen Bilder. Es ist z.B. nicht mit dem Pin ausserhalb der Mitte zufrieden und wird dies nicht akzeptieren. Es wird automatisch versuchen den Pin auf dem X zu zentrieren. Um dies zu beweisen sollten sie dieses kleine Experiment versuchen. Bilden Sie ein einen Kreis mit Daumen und Zeigefinger, wie ein Scope. Suchen Sie sich ein rundes Objekt in dem Raum in dem sie sitzen wie z.B. eine Uhr. Kreisen Sie das Objekt mit Ihrem Daumen-Zeigefingerkreis am ausgestreckten Bogenarm ein und versuchen Sie es genau in der Mitte zu halten. Sehen sie wieviel Bewegung und Zittern in Ihrem Bogenarm und Zielbild ist wenn Sie versuchen das Objekt genau in der Mitte zu halten? Nachdem Sie dies festgestellt haben entspannen Sie sich ein bisschen. Versuchen Sie es noch einmal, nur dieses Mal konzentrieren Sie sich nicht auf Ihren Bogenarm oder Ihr Zielbild sondern ausschliesslich auf die exakte Mitte Ihres Objekts, brennen Sie Ihre Konzentration genau auf diesen Punkt. Versuchen Sie diese Konzentration für einige Sekunden zu halten und achten Sie nicht auf Ihren Bogenarm respektive Ihr Zielbild.
Nach 3-4 Sekunden werden Sie feststellen das sich Ihr Daumen-Zeigefingerkreis automatisch genau zentriert hat, das Objekt ist genau in der Mitte. Der Grund für dieses Phänomen ist unser „Selbst Zentrierendes Unterbewusstsein“. Es ist deshalb nicht notwendig zu versuchen unser Visier rechts oder links zu bewegen wenn es aus der Mitte driftet. Das wäre sogar schlecht. Versuche Sie sich einfach weiter auf das X zu konzentrieren und das Visier wird automatisch wieder zur Mitte zurückkehren. Diese Methode zu zielen wird für alle Persönlichkeitstypen empfohlen also die Typ A – Kontrollierer, die Analysierer und die Kreativ- risikobereiten. Bei den sehr seltenen Typ B Persönlichkeiten scheint jede Zielmethode zu funktionieren da diese Schützen mit ihrer Konzentration immer beim aktuellen Schuss sind, nicht mit ihrem letzten Schuss hadern oder sich Gedanken über den nächsten Schuss machen, außerdem neigen sie nicht dazu zu analysieren, zu kontrollieren oder Risiken einzugehen.
Noch ein Beispiel wie dieses „Selbstzentrieren“ funktioniert: Wenn sie mit ihrem Auto eine Strasse entlangfahren und sich auf einen Punkt ca. 200m vor dem Auto konzentrieren wird sich ihr Lenkrad automatisch so bewegen, das ihr Wagen genau in der Spur bleibt ohne das sie bewusst rechts oder links steuern. Auch dies ist ihr Unterbewusstsein, Sie brauchen nichts zu machen, alles funktioniert automatisch oder unbewusst. Man muss keinen Muskel arbeiten lassen oder versuchen bewusst etwas zu kontrollieren, es passiert einfach automatisch. Genau dies ist der selbstzentrierende Mechanismus den wir nutzen sollten wenn wir mit einem Bogen zielen.

Was ist zielen?
Lassen Sie uns nun definieren, was zielen ist und was nicht. Zielen ist nichts physisches … zielen ist mental. Zielen ist was unsere Gedanken sehen, nicht das was unsere Augen sehen. Unsere Augen können den Pin ins Ziel führen (das Ausrichten) aber sie können ihn dort nicht halten. Die Augen helfen den Pin beim Ausrichten grob ins Ziel zu führen aber nur unsere Gedanken können ihn dort halten, indem wir unsere gesamte Konzentration auf die genaue Mitte des X fokussieren. Ihr Zielbild wird sich etwas um das X herum bewegen aber wird immer wieder automatisch in die Mitte zurückkehren. Dies bringt uns zu einem der größten Geheimnisse der professionellen Bogenschießens : Um das X zu treffen ist es nicht unbedingt notwendig genau auf dem X zu stehen wenn der Schuss bricht … solange wir unsere gesamte Konzentration auf das mittlere Molekül des X brennen. Sie haben dies vielleicht schon während des Trainings beobachtet: Der Schuss brach als Sie nicht genau mit dem Pin auf dem X waren, aber wie von selbst bewegte sich ihr Zielbild in dieser Millisekunde zum X … und sie trafen exakt das X. Bis der Pfeil den Bogen verlassen hatte, bewegte unser Unterbewusstsein den Bogenarm Richtung X und obwohl in der letzten Millisekunde an die sie sich erinnern der Pin sagen wir auf 9 Uhr knapp neben dem X stand traf unser Pfeil genau die Mitte. Sie sehen: Es ist völlig in Ordnung und normal, das unser Zielbild sich bewegt! Wenn es sich schneller als normal bewegt korrigiert wir auch schneller als normal. Wenn wir uns vollständig auf das Ziel konzentrieren, nicht darauf den Schuss auszulösen oder den Pin in die Mitte zu führen oder ihn dort zu halten, würden wir viel, viel besser schießen.
Versuchen sie es zu Hause und sie werden merken das das Bogenschießen viel weniger anstrengend wird und diese Methode uns in die Lage versetzt uns auf den Punkt zu konzentrieren den wir treffen wollen anstatt uns darauf zu konzentrieren wie wir unseren Arm ruhig genug halten um zu treffen.

Versuchen Sie es, es wird Ihnen gefallen.